EPIGENETIK
Aufzeichnung des Akademietreffens
Die Epigenetik ist die Lehre dessen, wie die Gene des Menschen reguliert werden. Wir können epigenetische Strukturen in unserem Erbgut verändern und beeinflussen – und zwar durch eigenes Handeln und durch Veränderung unserer Umwelteinflüsse – aber nicht direkt und gezielt auf spezifische epigenetische Aktivität. Das ist eine der Erkenntnisse eines anregenden und wissensreichen Akademietreffens.
Dr. Peter Spork ist laut Deutschlandfunk „der Mann, der die Epigenetik populär machte“.
Beim Akademietreffen beeindruckte er mit tiefgreifendem Wissen, aber auch mit nachvollziehbaren Erklärungen, die das Phänomen Epigenetik begreifbarer machen.
Epigenetik: Wie Gene und Umwelt zusammenspielen – aber keine Wunderheilung versprechen
„Epigenetik ist keine Antigenetik oder etwas Esoterisches, mit dem wir Macht über unsere Gene gewinnen können“, stellt Dr. Peter Spork gleich zu Beginn klar. Der promovierte Neurobiologe und Wissenschaftsjournalist räumt in seinem Vortrag bei der Akademie für angewandte Neurowissenschaft A|F|A|N mit vielen Missverständnissen rund um das Thema Epigenetik auf.
„Die Epigenetik macht aus der Genetik das wunderbare Ding, das wir sind“
Epigenetik beschäftigt sich mit Strukturen, die an oder neben den Genen sitzen und beeinflussen, ob diese von Zellen genutzt werden können oder nicht. Im weiteren Sinne umfasst sie alle Anpassungen von Zellen an die Umwelt, die dauerhaft als eine Art Gedächtnis in der Zelle verbleiben – ohne dabei den DNA-Code selbst zu verändern.
„Man kann mit Epigenetik niemals den Code der DNA verstellen oder Gene verändern“, betont Spork. Die Epigenetik kann immer nur die vorhandenen Gene regulieren. Bei monogenetischen Erbkrankheiten wie Mukoviszidose hilft daher auch keine epigenetische Veränderung, da hier ein defektes Gen vorliegt.
Wie funktioniert epigenetische Regulation?
Spork erklärt die verschiedenen Ebenen der epigenetischen Regulation:
- Die Position der DNA im Zellkern: Gene am Rand sind schlechter ablesbar als in der Mitte.
- Nicht-codierende RNAs, die die Übersetzung anderer Gene verhindern können.
- Chromatinveränderungen: Die DNA wickelt sich um Histone (Proteine). Chemische Modifikationen wie Methylgruppen können diese Struktur kompakter oder lockerer machen und so die Zugänglichkeit der Gene beeinflussen.
- DNA-Methylierung: Direkt an die DNA angelagerte Methylgruppen verhindern meist das Ablesen von Genen.
„Es geht nicht darum, ob Gene an- oder ausgeschaltet werden – das machen Transkriptionsfaktoren. Die Epigenetik bestimmt die Aktivierbarkeit der Gene“, fasst Spork zusammen.
Umwelteinflüsse prägen die Epigenetik – aber nicht gezielt steuerbar
Wie reagiert nun die Epigenetik auf Umwelteinflüsse? Spork erklärt es am Beispiel einer Leberzelle: Wenn diese regelmäßig mit fettreicher Nahrung konfrontiert wird, passt sie ihr Programm an. Die Zelle baut ihre epigenetische Umgebung so um, dass bestimmte Stoffwechselgene leichter aktiviert werden können. Sie entwickelt ein „Gedächtnis“.
Ähnliches geschieht bei Stress: Das berühmte Rattenexperiment von Michael Meaney zeigte, dass fürsorgliches Mutterverhalten die Epigenetik der Stressregulation bei den Jungtieren positiv beeinflusst. Diese können dann lebenslang besser mit Stress umgehen.
Allerdings warnt Spork vor überzogenen Erwartungen an gezielte epigenetische „Umprogrammierungen“: „Wir wissen nicht, wie man mit welcher Meditationstechnik gezielt welche Zelle im Körper so ansteuern kann, dass welche Methylgruppe wo an der DNA weggenommen oder hingesetzt wird.“
Kritik am „Epigenetik-Coaching“
Besonders kritisch sieht Spork das aufkommende „Epigenetik-Coaching“: „Es suggeriert, dass man inzwischen weiß, wie man gezielt durch Nahrungsergänzungsmittel, Coachingmaßnahmen oder Psychotherapie Strukturen der Epigenetik in bestimmten Zellen so verändern kann, dass man sein Erkrankungsrisiko senken kann. Dafür gibt es aber überhaupt keine wissenschaftliche Evidenz.“
Was empfohlen wird, seien meist klassische Gesundheitsmaßnahmen wie gesunde Ernährung, Bewegung und Stressreduktion – „die werden nur unter dem Label Epigenetik verkauft“. Diese Maßnahmen sind zwar sinnvoll, aber dafür brauche man kein spezielles „Epigenetik-Coaching“.
Vererbung über Generationen: Vorsicht vor vorschnellen Schlüssen
Können epigenetische Veränderungen auch vererbt werden? „Da wird sehr viel Unfug erzählt“, warnt Spork. Bei Pflanzen und einfacheren Organismen ist epigenetische Vererbung normal. Bei Säugetieren wie dem Menschen gibt es aber hohe Hürden: Bei der Bildung von Ei- und Samenzellen sowie nach der Befruchtung wird das Erbgut epigenetisch quasi auf Null zurückgesetzt.
Dennoch gibt es Hinweise auf gewisse Vererbungseffekte, etwa beim niederländischen „Hungerwinter“ 1944/45: Kinder von Müttern, die während der Schwangerschaft hungerten, zeigten erhöhte Krankheitsrisiken – ebenso wie deren Kinder. Allerdings waren die Keimzellen der zweiten Generation bereits als Föten dem Hunger ausgesetzt.
Die wichtigsten Takeaways:
1. Epigenetik ermöglicht Zellen, sich an Umwelteinflüsse anzupassen, ohne die DNA-Sequenz zu verändern. Sie bestimmt die Aktivierbarkeit von Genen.
2. Gesunder Lebensstil kann positive epigenetische Veränderungen bewirken – das ist aber nicht gezielt steuerbar. Vorsicht vor „Epigenetik-Coaching“ ohne wissenschaftliche Basis.
3. Epigenetische Vererbung über Generationen ist bei Menschen möglich, aber komplex und noch nicht ausreichend erforscht. Vorschnelle Schlüsse sollten vermieden werden.
4. Die Epigenetik liefert wichtige Biomarker und Erkenntnisse für die Systembiologie – ist aber nicht „der Weisheit letzter Schluss“ für Gesundheit und Krankheit.
Dr. Peter Spork hat zwei Bestseller zum Thema Epigenetik geschrieben: Der zweite Code und Gesundheit ist kein Zufall. Er studierte Biologie, Anthropologie und Psychologie und promovierte im Bereich der Neurobiologie/Biokybernetik.
Seit 1991 arbeitet er als freiberuflicher Wissenschaftsjournalist (u.a. Die Zeit, FAZ, NZZ, Süddeutsche Zeitung, Geo Wissen, bild der wissenschaft) und tritt als Vortragsredner sowie in TV und Radio auf. Zudem schrieb Spork mehrere, in zehn Sprachen übersetzte Sachbücher (Rowohlt, DVA, Hanser). Sein aktuelles Buch „Die Vermessung des Lebens“ ist das erste allgemeinverständliche deutschsprachige Sachbuch zur Systembiologie.
Seit 2010 ist er Autor und Herausgeber des Newsletter Epigenetik, der heute in seine Sporks Science News integriert ist. Hier klicken, um zum Newsletter zu gelangen! Seit 2018 veröffentlicht er die meisten seiner Artikel bei der Genossenschaft freier Autor*innen, RiffReporter.
Länge 77 Minuten | Aufzeichnung vom Akademietreffen am 24.09.2024

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